Risikoumfang und objektgerechte Beratung

 

Das typische Finanzderivat wird als Differenzgeschäft strukturiert.

Differenzgeschäfte sind, wirtschaftlich betrachtet, Geschäfte, die reines Risiko zum Inhalt haben. Beide Seiten gehen zugunsten des Gegners eine Risikoposition ein. Für den Handel wesentlich ist, dass dieses Risiko „nackt“ ist. Die Partei, für die das Geschäft positiv verläuft, „gewinnt“ einen Betrag, den die Gegenpartei spiegelbildlich „verliert“.[1] Wenn das Geschäft neutral verläuft, geschieht nichts. Es wird nichts gekauft, getauscht, zum Gebrauch überlassen, oder ähnliches. Das gesamte Geschäft fokussiert sich ausschließlich auf das gehandelte Risiko.

Zwar bergen alle wirtschaftlichen Tätigkeiten Risiko. Das Unterscheidende an Differenzgeschäften jedoch – wie auch an sonstigen Wetten, Versicherungen usw. – ist, dass sie nicht als „riskante Geschäfte“ zu verstehen sind, sondern als Geschäfte mit dem Risiko.[2]

Dass Risiken von der Natur her unbestimmt sind, tut dieser Analyse keinen Abbruch. Ein Risiko ist eine wahrscheinlichkeitsgewichtete Prognose. Nur mit dieser Gewichtung wird es überhaupt handelbar. Eine Prognose, der keine Wahrscheinlichkeit zuzuordnen wäre, könnte nie gehandelt werden. Andererseits gibt es heutzutage zahlreiche Risiken, deren Wahrscheinlichkeit wertbestimmend berechnet werden kann. Daraus berechnen sich etwa Versicherungsprämien, die auf dem heutigen Markt ein weites Spektrum an Risiken erfassen können. Die Prämie widerspiegelt die Wahrscheinlichkeit, dass der Versicherungsfall eintritt. Dies als eine unverbindliche „Prognose“ abzutun, wäre sinnlos. Was im Versicherungsvertrag gehandelt wird, ist eine vom Markt bepreiste Wahrscheinlichkeit.

Nichts anderes gilt für Prognosen auf Kursverläufe. Anhand der historischen Entwicklungen eines Marktwertes können verbindliche Grundlagen für eine Risikobewertung aufgebaut werden. Auf illusionäre „Muster“ wie beispielsweise den gelegentlich von Banken hervorgehobenen Werte-„Korridor“ darf man dabei nicht vorschnell zurückgreifen. Basis ist zunächst immer die Volatilität des Wertes, aus der sich eine statistische Verteilung ableiten lässt. Aus dieser wiederum sind VaR-Werte („Value at Risk“), und somit das Risiko des Geschäfts, konkret und beziffert abzulesen.

Diese Werte sind für einen nicht-professionellen Marktteilnehmer, der keinen Zugang zu den notwendigen Daten (Volatilität) hat und dem die Ableitung einer Werteverteilung nicht leichtfallen würde, zwar nicht erreichbar. Im Prinzip sind sie jedoch nicht kontrovers und können bei Vertragsschluss problemlos mit den allgemeinen Bordmitteln des Handels (Reuters, Bloomberg) berechnet werden – ganz zu schweigen davon, dass die Bank sie ohnehin im Rahmen der Eigenkapitalregeln berechnet.

 

Objektgerechte Beratung bei Differenzgeschäften

 

Angesichts dieser Sachlage dürfte es eigentlich deutlich sein, dass bei Differenzgeschäften eine Bewertung des gehandelten Risikos zu den Grundparametern des Deals gehört. Es handelt sich, anders gesagt, um eine Eigenschaft, die für die Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben sollte. Eine Aufklärung darüber gehört zur „objektgerechten“ Beratung im Sinne des Bond-Katalogs:[3]

In Bezug auf das Anlageobjekt hat sich die Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können (…). Dabei ist zwischen den allgemeinen Risiken (Konjunkturlage, Entwicklung des Börsenmarktes) und den speziellen Risiken zu unterscheiden, die sich aus den individuellen Gegebenheiten des Anlageobjekts (Kurs-, Zins- und Währungsrisiko) ergeben.

Gegenstand eines unlängst streitigen Finanzierungsvertrags war wirtschaftlich gesehen auch der künftige Verlauf des EURCHF-Wechselkurses. Als Gegenleistung zur Darlehensgewährung übernahm eine Kommune zugunsten der Bank ein diesbezügliches Risiko. Wie der XI. Senat zu Recht feststellte, ist an dieser Stelle eine angemessene Aufklärung vonnöten. Diese kann sich nicht darin erschöpfen, dass auf einen angeblichen „Korridor“ verwiesen wird, sondern muss sich, wie im Übrigen aufsichtsrechtlich geboten, auf wissenschaftlich fundierte Zahlen basieren.

Das kann im Ergebnis nur heißen: die Bank muss die Risikobewertung, die sie an die Aufsicht meldet, auch mit dem Kunden teilen.

 

[1]            BGH v. 22.03.2011, Ille, XI ZR 33/10 Juris (11. Zivilsenat 2011) Rn. 34.

[2]            Martin Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand (Mohr Siebeck, 1994).Martin Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand (Mohr Siebeck, 1994).

[3]            BGH v. 06.07.1993, Bond, XI ZR 12/93 Juris (BGH 11. Zivilsenat 1993).

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